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Strukturwandel

Von der Agrarökonomie zur Wissensökonomie

Wirtschaft heißt Wandel. Jahrhunderte lang vollzog sich dieser Wandel sehr langsam und wirtschaftliche Produktionsweisen und mit ihnen die Gesellschaftsstrukturen veränderten sich in den allermeisten Fällen nur im Laufe mehrerer Generationen. Seit dem Einschnitt des Weltkriegsendes vor gut 60 Jahren, der auch in wirtschaftlicher Hinsicht einer "Stunde Null" sehr nahe gekommen ist, hat sich dieser Wandel stark beschleunigt. Die relative Stabilität der Wirtschaftsstrukturen der Agrargesellschaft wurde aufgebrochen und im Zuge des wirtschaftlichen Wiederaufbaus und des anschließend folgenden Wirtschaftswunders erlebte die Tiroler Wirtschaft eine beinahe vollständige Umgestaltung.

Die Landwirtschaft, die heute noch für ca. 3 % der Erwerbstätigen ein Einkommen bietet, gegenüber knapp 40 % zum Zeitpunkt der Volkszählung 1951, hat ihre wirtschaftlich dominante Stellung eindeutig eingebüßt (siehe Karte Strukturwandel in der Landwirtschaft). Ein ausgeprägtes Tiroler Spezifikum ist, dass der Beschäftigungsaufschwung im Industrie- und im Dienstleistungssektor fast zeitgleich einsetzte, so dass die klassische Phasenfolge Agrar-, Industrie- und Dienstleistungsgesellschaft stark verkürzt wurde.

Die Verschiebungen in der sektoralen Wirtschaftstruktur hatten auch geänderte Ansprüche der Wirtschaft an den Raum zur Folge. Industriebetriebe benötigen große, ebene Flächen, weshalb eine Konzentration an Industriegemeinden in den Haupttälern zu finden ist. Dienstleistungen beherrschen die Seitentäler (Tourismus) und die Siedlungsschwerpunkte in den Talräumen (breiter Dienstleistungsmix). Landwirtschaftlich dominiert sind nur noch Gemeinden in Randlagen abseits der Hauptwirtschaftszentren mit einer oft ungünstigen Verkehrsanbindung (siehe Karte Dominanter Sektor). Es kam somit zu einer räumlichen und funktionalen Spezialisierung der Wirtschaft entsprechend den vorherrschenden Standortbedingungen.

Eine weitere Folge des Strukturwandels war die zunehmende Aufspaltung Tirols in wirtschaftliche Aktiv- und Passivräume. Gemeinden mit günstigen Verkehrs- und Kommunikationsverbindungen, hoher Einwohnerzahl und verfügbaren Flächen für Industrie- und Gewerbegebiete, wie sie sich bevorzugt an der Nord-Süd-Achse über den Brenner finden, profitierten stark vom wirtschaftlichen Wachstum. Die zunehmende Verflechtung der Tiroler Wirtschaft mit Gebieten außerhalb der Alpen, z.B. in Süddeutschland und in der Po-Ebene, begünstigte diesen Prozess zusätzlich und führte zu hohen Exportquoten, die in der Nordtiroler Industrie in vielen Betrieben die 90 % Schwelle überschreiten. Gemeinden mit gravierenden Nachteilen bei den genannten Standortfaktoren blieben wirtschaftlich zunehmend zurück (siehe Karte wirtschaftliche Aktiv- und Passivräume). Allerdings ist es in Tirol bisher fast nirgendwo zu einer ausgeprägten Landflucht aus abgelegenen Tälern gekommen, wie es in den Provinzen Udine und Belluno der Fall war.

Die Tiroler Wirtschaft hat den Strukturwandel der letzten 60 Jahre sehr gut bewältigt. Die Beschäftigten aus der Landwirtschaft wurden erfolgreich in neue Berufe integriert, die wachsende Bevölkerung laufend mit Arbeit versorgt und eine vergleichsweise ausgeglichene, räumliche Wirtschaftsstruktur beibehalten. Unter dem Stichwort "Wissensökonomie" kündigt sich die nächste Phase des Strukturwandels bereits an. Entscheidende Standortbedingungen der Zukunft dürften dabei Netzwerke innovativer Unternehmen, Forschungs- und Entwicklungseinrichtungen, Bildungs- und Ausbildungszentren und optimale Kommunikationsinfrastrukturen sein. Es ist von einer zunehmenden Bevorzugung der städtischen bzw. der "verstädterten" Wirtschaft auszugehen. Dadurch könnten die Wirtschafts- und Siedlungsräume in den Haupttälern bandartig verschmelzen. In diesem Zusammenhang wird bereits von der zukünftig zu erwartenden "Unterinntalstadt" gesprochen.

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