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Definition: Wirtschaftliche Aktiv- und Passivräume

Ungleichverteilungen der Wirtschaftskraft und der Bevölkerung

Als wirtschaftliche Aktivräume bezeichnet man diejenigen Teilräume eines Gebietes in denen überdurchschnittlich viele (volks)wirtschaftkliche Aktivitäten und somit eine überdurchschnittliche Wirtschaftskraft konzentriert sind. Der Begriff stammt ursprünglich aus der Geographischen und Politischen Entwicklungsländerforschung, da in diesen Ländern die räumliche Ungleichverteilung der Wirtschaftskraft oft besonders ausgeprägt ist. Prinzipiell kann der Terminus auf Räume in verschiedensten Maßstabsebenen angewandt werden, allerdings verwendet man ihn häufiger auf der mittleren und kleinmaßstäbigen Ebene, also bei der räumlichen Analyse ganzer Staatsgebiete oder zumindest größerer Teile davon.

Im Gegensatz dazu bleibt ein Passivraum in Sachen Wirtschaftskraft und Wirtschaftswachstum deutlich hinter dem Durchschnitt des Gesamtraumes zurück. Dies hat zur Folge, dass Passivräume auch in ihrer Ausstattung mit infrastrukturellen Einrichtungen, in der politischen Partizipation und Machtbildung, sowie in den sozialen Möglichkeiten, die sie ihren Bewohnern bieten können, deutlich hinter den Aktivräumen zurückbleiben. Daraus resultiert in den allermeisten Fällen eine Migrationsbewegung, die zur zunehmenden Entvölkerung dieser Räume führt. Da häufig gerade die junge und wirtschaftlich produktivste Bevölkerungsgruppe an diesen Wanderungen teilnimmt, kommt es zu einer weiteren Konzentration von Wirtschaftskraft im Aktivraum, der gewissermaßen "auf Kosten der Passivräume lebt". Dieser Mechanismus verbindet die Wirtschafts- und Bevölkerungsentwicklung, so dass die Entwicklung der Bevölkerung als guter Indikator für die Entwicklung der Wirtschaftskraft dienen kann (siehe Karte Aktiv- und Passivräume).

In Gebirgsräumen spielen diese Ungleichverteilungen von Wirtschaftskraft und Bevölkerung oft eine besonders große Rolle. Natürliche Einflussfaktoren wie die Verfügbarkeit von Dauersiedlungsraum oder Schwierigkeiten bei der Verkehrserschließung verstärken hier den Gegensatz zwischen Aktiv- und Passivräumen. Im Alpenraum wird dies besonders deutlich beim Blick in die französischen und in die italienischen Südwestalpen. Dort kam es ab der Mitte des 19. Jahrhunderts zu einer starken Entvölkerung der Seitentäler und zu einer Konzentration von Bevölkerung und Wirtschaftskraft im Umfeld der Städte in den Haupttälern (z.B. Grenoble). In den Ostalpen und besonders im Tirol-Atlas-Kerngebiet sind die räumlichen Disparitäten (Ungleichverteilungen) bemerkenswert gering geblieben. Dafür gibt es mehrere sich gegenseitig verstärkende Ursachenkomplexe:

  1. Die Industrialisierung setzte hier erst nach dem 2. Weltkrieg verstärkt ein. Gleichzeitig begann der Boom des Tourismus, so dass die Landflucht aus den peripheren, ländlichen Räumen stark gebremst wurde.
  2. Der Tourismus im Tirol-Atlas-Gebiet ist flächenhaft aus einer kleingewerblichen Basis der privaten Fremdenzimmervermietung heraus "gewachsen" und unterscheidet sich markant von den Formen in den Westalpen mit staatlich geplanten Retortenskistationen.
  3. Der föderale Staatsaufbau in Österreich, in Deutschland und der Schweiz begünstigte eine regionale Ausgleichspolitik, die in den meisten italienischen und französischen Alpenregionen nicht gegeben war. Südtirol und das Trentino bilden hier eine Ausnahme, da das Autonomiestatut von 1972 für die beiden Provinzen eine "föderale Sonderstellung" im italienischen Staatsaufbau absichert.