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Zweigwerkindustrialisierung

Die Anfänge der Südtiroler Industrie in den 1960er Jahren

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Zweigwerk der Hoppe AG, St. Martin in Passeier (© Hoppe AG)

Der Begriff Zweigwerkindustrialisierung bezeichnet das Auslagern von industrieller Fertigung in Zweigbetriebe ohne eigene Forschungs- und Entwicklungsabteilungen. Man spricht in diesem Zusammenhang auch von verlängerten Werkbänken Der entscheidende Standortfaktor ist dabei zumeist das geringe Lohnniveau am neuen Fertigungsstandort, das am Hauptsitz des Unternehmens nicht gegeben ist. In Südtirol spielte die grenzüberschreitende Zweigwerkindustrialisierung (es gibt auch eine landesinterne Form) vor allem von 1960 bis 1972 eine Rolle, als sich 34 größere, zumeist bundesdeutsche, Industriebetriebe dort ansiedelten. Sie schufen in dieser Zeit etwa 2.800 neue Arbeitsplätze.

Ende der 1950er Jahre machte sich in der BRD bereits ein erheblicher Arbeitskräftemangel bemerkbar und die Lohnsätze in Südtirol lagen noch 30 % unter den bundesdeutschen, was die Provinz damals zur Region mit den geringsten Lohnkosten innerhalb des europäischen Binnenmarktes machte. Günstige rechtliche Rahmenbedingungen im Bereich der Rücktransferierung von Betriebsgewinnen und im Bereich der Steuer- und Kreditbegünstigungen, sowie die gemeinsame Sprache, machten Südtirol für deutsche Investoren zusätzlich attraktiv. Die meisten Zweigbetriebe der arbeitsintensiven Branchen Metallverarbeitung/ Mechanik, Textil/ Bekleidung und der Kunststoff-
verarbeitung siedelten sich im Unteren Pustertal, im Brunecker-, Brixner- und Sterzinger Becken sowie im Unteren Eisacktal an. Die bedeutendste Industrieansiedlung war die deutsch-britische Gemeinschaftsgründung Birfield Trasmissioni AG in Bruneck (heute GKN Driveline Bruneck Spa) zur Herstellung von Gelenkwellen für die Automobilindustrie.

Bis 1975 verlor die Zweigwerkindustrialisierung aber bereits wieder an Bedeutung, da das Lohngefälle sich zunehmend auflöste. Die Ölkrisen der 1970er Jahre beendeten die Phase des Wirtschaftswunders in Deutschland und die Südtiroler Wirtschaftspolitik setzte zunehemend auf einheimische Unternehmen als Träger des industriellen Wachstums. Heute ist Südtirol als eine der wohlhabensten Regionen der EU (siehe Text "BIP pro Einwohner in den Tirol-Atlas-Regionen im Jahr 2003 im EU-Vergleich") mit kaum 3 % Arbeitslosigkeit eher zum Exporteur von Arbeitsplätzen und Kapital geworden.